1928 bis 1931: Hans Fähnle malt und zeichnet in Brandenburg

 

 

Kunstmaler und Chauffeur – Hans Fähnle in Werben

Volker Caesar

 

 

Dieser Text erschien als Beitrag im Heimatjahrbuch für den Landkreis Teltow-Fläming 2020, herausgegeben vom Landkreis Teltow-Fläming, Redaktion Silvio Fischer (www.museum.teltow-flaeming.de); Anmerkung des Verf.: Anzahl der Abbildungen wurde nachträglich erweitert.

Gutshaus Werben Hofseite, um 1910. Historische Ansichtskarte. Archiv Ragemann Berlin

 

Hans Fähnle - Biografisches
 

Am 12. Juni 1903 in Flein bei Heilbronn geboren und aufgewachsen; Abitur am Evangelisch-theologischen Seminar Urach; 1922 bis 1928 Studium an den Kunstakademien Stuttgart/Prof. Robert Breyer, Berlin/Prof. Hans Meid und Kassel/Prof. Georg Burmester. Nach seinen „Wanderjahren“ hatte er ab 1935 ständige Ateliers in Stuttgart und Überlingen am Bodensee. Hans Fähnle starb am 12. März 1968 in seinem Stuttgarter Atelier. Er zählt zu den Künstlern der Verschollenen Generation*. Fähnles Malerei begann expressiv-realistisch und steigerte sich in den 1960er Jahre zu unverwechselbarer, malerischer Abstraktion, die jedoch der Gegenständlichkeit verbunden blieb.

1969 baute Ernst Fähnle in Überlingen am Bodensee einen avantgardistischen KUBUS zur Bewahrung und Präsentation des umfangreichen künstlerischen Nachlasses seines verstorbenen Bruders Hans Fähnle: Rund 350 Gemälde und mehr als 2000 Arbeiten auf Papier, dazu mehr als 60 Bildhauerarbeiten von Ernst Fähnle.


* Lit. Rainer Zimmermann: Expressiver Realismus – Malerei der verschollenen Generation, München 1994

 

Gutshof Werben, um 1920/30. Historische Ansichtskarte. Archiv Ragemann Berlin

 

 

Ein schwäbischer Maler in Werben

 

Was bewegte einen schwäbischen Maler, immer wieder nach Werben zu reisen? Anlass war sein Bruder. Hans Fähnles (1903-1968) älterer Bruder Ernst (1899-1984) war dem Vorbild seines Onkels gefolgt und hatte 1925 sein Studium in Stuttgart-Hohenheim als Diplomlandwirt abgeschlossen. Da die Familie nicht über eigenen Landbesitz verfügte – der Vater Paul Fähnle war Lehrer und Schulleiter in Flein bei Heilbronn – konzentrierte sich Ernst Fähnle auf die Verwaltung und Bewirtschaftung großer Landgüter. Jedoch schon bald drängte es den jungen Landwirt ebenfalls zur Kunst.

 

Ernst und Hans Fähnle absolvierten ihre unterschiedlichen Studien fast zur gleichen Zeit. In den Inflationsjahren nach dem Ersten Weltkrieg fiel es den Eltern nicht leicht, dem Drängen des jüngeren Hans nachzugeben und, anstatt einer gesicherten Ausbildung als Lehrer oder evangelischer Pfarrer, ein Kunststudium zu ermöglichen. Schon während Hans Fähnles Ausbildung an den Akademien in Stuttgart, Berlin und Kassel intensivierten die Brüder ihren Austausch über Kunstdinge. Es entwickelte sich ein Kreis gemeinsamer Künstlerfreunde, der Jahrzehnte überdauerte.

 

Unzufrieden mit seiner Gutsverwalterarbeit probte Ernst Fähnle bereits im Herbst 1926 einen Ausstieg: … Ich muß erst wieder in Kontakt kommen mit Kunst im Allgemeinen und bildender Kunst im speziellen, denn die (… !) -Dauerarbeit von früh 5h bis abends 9.00-10h tötet einem ja allen höheren Flug. …

 

Die Nachricht von seiner beruflichen „Auszeit“ dürfte die Eltern in Aufregung versetzt haben – noch eine „brotlose“ Zukunft? Der jüngere Hans übernimmt die Aufgabe, die Eltern zu beruhigen und schreibt im November 1926 aus Kassel: … Doch macht Euch ja um mich und Ernst keine Sorgen! Im Großen und Ganzen gehts uns nämlich sehr gut. … 2 mal in der Woche essen wir beide bei Frau Intendant Bekker.* … Für Ernst ist der ganze [Akademie] Betrieb natürlich sehr interessant. Es schadet ihm ja nichts, ein ganz neues Stück Leben kennen zu lernen. – Auf jeden Fall geht alles ganz gut vorwärts. … Ernst ist gerade [zum Malen] in der Landschaft, den schönen Herbsttag zu benützen. …

 

War es die Sorge um die Finanzierung eines zweiten Studiums oder traute Ernst Fähnle der eigenen Befähigung nicht? Anfang 1927 verließ er Kassel, um eine neue Stelle auf dem Berliner Stadtgut Schönerlinde anzutreten. Die Nähe zur Großstadt erlaubte, neben dem Beruf am Kunst- und Kulturgeschehen der Großstadt teilzuhaben. Seine Zukunftszweifel waren damit freilich nicht überwunden:

28. September 1927Allerdings wenn ich dann den alten Kram [die Landwirtschaft] an den Nagel hänge dann gibt es für mich kein Zurück mehr …


* Hanna Bekker vom Rath (1893-1959), Malerin, Galeristin, langjährige Förderin von Hans Fähnle; Ehefrau von Paul Bekker, damals Intendant des Hessischen Staatstheaters Kassel;

http://www.stein-steinfeld.de/Hanna_Bekker_vom_Rath_+_Paul_Bekker/Hanna_Bekker_vom_Rath.html (abgerufen am 14.05.2019)

 

 

Pendeln zwischen Stadt und Land – Berlin und Werben

 

Nach seiner Zeit an der Kunstakademie in Kassel legte Hans Fähnle nun immer wieder lange Malaufenthalte in Berlin ein. Gemeinsam besuchten die Brüder Kunstausstellungen, Theater, malten gemeinsam, übten gegenseitig Kritik oder Hans Fähnle fuhr zum Malen hinaus auf den Gutshof. 1928 wechselte Ernst von Schönerlinde zum Stadtgut Werben *. Hans Fähnle berichtete den Eltern vom „Pendelverkehr“ zwischen Stadt und Land:

… Ernst war gestern geschwind hier, er wird wohl die Woche nochmal rein kommen. Von Samstag bis Montag war ich bei ihm draußen, hab ein paar Sachen gemalt, Montag war Schlachtefest, da hab ich ordentlich gespachtelt …

Auch die jüngere Schwester Ruth macht zum Jahreswechsel 1928/29 einen ersten Besuch in Werben: … Ruth erwarte ich also Montag früh auf dem Anhalter [Bahnhof], wir freuen uns beide, Ernst kommt so bis 12h rein, nachmittags fahren wir dann raus nach Werben …

 

Die Berliner Museen dienten Hans Fähnle auch dazu, sein Einkommen durch das schon in Kassel erprobte Kopieren von Gemälden aufzubessern und dabei seine Malkenntnisse zu erweitern:

Charlottenburg 10. Jan. 29. ... Nächste Woche fang ich an, jede Woche einen Tag im Kaiser-Friedr. Museum [heute Bode-Museum] zu kopieren. Zuerst 2 Rubens (Bildnis der Isabella Brant u. Diana von Satyrn überrascht) …  Tizian hätte ich gern kopiert, aber die 3 Bilder von ihm sind bis nächsten Sommer schon im Voraus von Kopisten belegt, … Die Venezianer u. Rubens, die liegen mir, man kann, was Farbtechnik u. Farbkultur anbelangt, unheimlich viel bei ihnen lernen …

 

Die Sommermonate 1929 nutzte Hans Fähnle zu einem Malaufenthalt auf der Bodenseeinsel Reichenau und kehrte dann nach Berlin und Werben zurück.

 

1930. 17. April. … Am 1. Mai zieh ich nun für ganz zu Ernst [nach Werben], ich werde da ruhiger an meiner Malerei schaffen können … Nächsten Dienstag kopier ich mal wieder im Kaiser Friedrich-Museum Rubens. Es ist eine gute Übung, der Kerl hat ja unheimlich malen können …

 

Zum Sommerbeginn berichtet er seinen Eltern:

Werben 12. Juni 30.Daß bei Euch unten alles schön steht, glaub ich. Hier herrscht z.Z. eine große Hitze, die Felder sind schon wieder am Vertrocknen, der Sand hält eben gar keine Feuchtigkeit. Die Heuernte ist aber sehr gut, mit dem ersten Schnitt gibts mehr, wie sonst im ganzen Jahr. Man ist hier z.Z. mitten drin. Insgesamt siehts hier doch besser aus als sonst, nur sollte es bald wieder regnen …

Ich hab heut fast den ganzen Tag gemalt. Es war eine mühselige Arbeit aber es darf einen nicht verdrießen lassen, man muß viele kleine Stücke zusammentragen, bis man eine Sache aufrichten kann …

 

Gelegentlich war Hans Fähnle die ländliche Ruhe in Werben auch zu viel. Beim Besuch seiner Gönnerin Hanna Bekker vom Rath, mit der er dann nach Stuttgart weiterreiste, lockten ihn wieder einmal die modernen Sammlungen des Museums Wiesbaden und des Städel:  Hofheim i/Taunus ** Sonnabend 19. Juli 30. … War gestern in Wiesbaden, vorgestern in Frankfurt. Insgesamt eine sehr interessante Abwechslung nach den ruhigen Monaten in Werben…

 

Anschließend  besuchte er kurz seine Eltern in Flein und brach im August 1930 zu einer Radtour nach Südfrankreich auf. Die Reise führte bis nach Avignon und Marseille. Dann folgten längere Aufenthalte bei den Eltern und in Stuttgart, bevor er wieder in Werben eintraf. In diesen unsteten Jahre zwischen 1928 und 1935, Hans Fähnles sogenannten „Wanderjahren“, begleiteten ihn ständig Fragen seiner künstlerischen Existenz und Zukunft: Wo finde ich einen idealen Atelierstandort? Wie baue ich meinen Käufer- und Sammlerkreis aus? Welches Umfeld bietet mir adäquate Malmotive? Und er arbeitete weiter an der Vervollkommnung seines malerischen Könnens - ein Getriebener: Dienstag Abend. 10. März 1931. … Vorigen Donnerstag war ich in Berlin, hab Frau Bekker besucht. Sie hat mir für die erste Hälfte des April ihr Atelier [in Berlin] zur Verfügung gestellt, da sie da ihre Kinder wieder nach Hofheim bringt.

Die letzten Tage wars hier grimmig kalt. Heut hats nun den ganzen Tag geschneit; die Kälte hat etwas nachgelassen. Hoffentlich bleibts nicht allzu lang mehr kalt, denn mit dem Malen bin ich doch mehr oder weniger aufs Freie angewiesen


* Glau, Gerhard: Büdner, Bauern und Kossäten – Ein Glienicker Heimatbuch; Berlin 2012; S. 155-166

** In Hofheim am Taunus nahe Frankfurt/Main besaß Hanna Bekker vom Rath das sog. „Blaue Haus“; während und nach der NS-Zeit Treffpunkt und Refugium zahlreicher verfemter Künstler wie Karl Schmitt-Rottluff, Ludwig Meidner, Ernst Wilhelm Nay u.a.

 

Autokurs in Zossen

 

Wenig Tage danach ließ er seine Eltern wissen, dass er sich zusammen mit seiner Schwester auf die Führerscheinprüfung vorbereite: Werben 27.3.31Ruth u. ich machen z.Z. in Zossen einen Autokurs mit; am 10. April ist Prüfung. Es ist auf alle Fälle gut, wenn man fahren kann, man muß heut zu Tag davon was verstehen …

Kurios: Danach taucht in seinen Postadressen gelegentlich der Zusatz „Kunstmaler und Chauffeur“ auf! Möchte er damit seine Berufschancen verbessern?

 

Weltwirtschaftskrise

 

Alles bewegt sich auf den Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise zu. Hans Fähnle ist unentwegt auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten. Eine Briefkarte aus Hofheim von Hans Fähnles Kunstfreundin, der Chirurgin und Gynäkologin Elisabeth Winterhalter * bringt die damalige Situation vieler Künstler auf den Punkt: … Von Frau B. [Bekker] hörten wir, daß Sie wieder daran denken die Zelte in Ihrer Heimat abzubrechen um zum Wanderstabe zu greifen, [und dass] die herben Folgen der Krise für Sie noch immer fortbestehen. Frau Röderstein** hört auch von den ff Künstlern nur trübste Berichte über die ganz daniederliegenden Verkaufsmöglichkeiten - auch in d. Kunsthandlung Schneider-Andreas [in Frankfurt] das gleiche Lied. Man fragt sich, wann u. wie soll sich das ändern. Gut daß [die] Jugend nicht das Hoffen sich nehmen lässt. …

 

Mit dem frischen Führerschein in der Tasche fand er von Mai bis August 1931 bei seiner Gönnerin Hanna Bekker vom Rath in Hofheim eine Anstellung. Er berichtet, er habe … noch genügend Zeit zum Malen … und könne … als Fahrer funktionieren und nebenbei ein bischen im Garten arbeiten…


* Dr. Elisabeth Winterhalter (1856-1952), Frauenärztin, Frauenrechtlerin : https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00780 (abgerufen 14.05.2019)

* Ottilie W. Röderstein (1859-1937), Malerin: http://www.frankfurterfrauenzimmer.de/cp10-detail.html?bio=be (abgerufen 14.05.2019)

 

Der Maler als Schäfer?

 

Danach ging‘s wieder zurück nach Werben. Seinen Eltern vermeldete er knapp: … Ich will nächste Woche auf eine große Wanderung … Die Ernte ist nun ganz u. gut unter Dach …

 

In einer tabellarischen Biografie Hans Fähnles findet sich folgender Eintrag: … (1929-31) zieht als Hirte mit Schafherden durch Deutschland, um sich seinen Lebensunterhalt als Maler zu verdienen …. Das klingt romantischer als es tatsächlich war. Hans Fähnle hatte von seinem Bruder Ernst einen Auftrag übernommen und meldete sich am 16. September 1931 aus Krummen an der Naab (Oberpfalz): … Ich bin nun schon 3 Wochen mit den Schafen unterwegs, die Ernst in Oberbayern gekauft. Es ist eine recht anstrengende Arbeit, die mir bis jetzt kaum eine freie Minute gelassen hat.

Es ist aber sehr interessant und man sieht viel. Ich werd Euch später mal davon erzählen. Bis Dienstag oder Mittwoch kommen wir nach Hof. … Mir selbst gehts gut. Bin trotz des schlechten Wetters gut beieinander. …

 

Das Erlebnis mit der Schafherde inspirierte Hans Fähnle später zu einer Radierung, die man als „Schäferidylle“ bezeichnen möchte. Mit Abstand zum tatsächlichen Geschehen wirkt sie sentimental und verrät nichts vom rund 400 km langen Fußmarsch mit der Schafherde.

 

Am 4. Oktober 1931 kann er seiner Familie berichten: … nun bin ich schon wieder eine Woche in Werben. Wir haben die Schafe in Plauen [im Vogtland/Sachsen] verladen. Das Wetter war zu schlecht, eine Woche lang nur Regen u. Schnee. Die Tiere wurden nicht mehr trocken, Stall war nie aufzutreiben, so war’s kein Wunder daß sie eher ab- als zunahmen.

Die Verladerei war eine Heidenarbeit u. die 24 Stunden Fahrt hab ich im Packwagen mitgemacht. Hab erst ein paar Tage gebraucht, um mich wieder im ordentlichen Leben zurecht zu finden.

Nun bin ich auch froh, daß die Schafe gut an Ort u. Stelle* sind. Sie waren auch noch ein paar Tage verwettert, aber jetzt fangen sie an, gut auseinander zu gehen. Auf alle Fälle hat die Stadt Berlin ein gutes Geschäft gemacht. Schade, daß man nicht das Geld hat, so eine Sache für sich zu machen. Wenn ich nur 3000 M hätte, in 8 Tagen wollte ich mindestens 1500 M glatt verdient haben! Ja, der Handel, das ist so eine Sache, das sieht man da erst richtig. Vielleicht bietet sich noch die Gelegenheit. …


* Auf der Nordseite des Wirtschaftshofs in Werben stand der eigene Schafstall des Stadtguts, vgl. Glau, Gerhard: Büdner, Bauern und Kossäten, S. 161

Ohne Titel, undatiert. Radierung. Sammlung Galerie Fähnle. Foto: Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

 

 

Ein „Geschäftsmodell“ mit Schafen?

 

Und tatsächlich konnte Hans Fähnle der Verlockung nicht widerstehen. Von einem Bekannten seiner Schwester lieh er sich das nötige Kapital: … er bekommt 10 %, bliebe mir also immer noch ein schöner Verdienst … Zunächst musste er jedoch die Fahrt noch zurückstellen: Werben, 13. Okt. 31. … Ich wäre diese Woche schon nach Oberbayern gefahren, um auf eigene Kappe Hammel einzukaufen, aber da die Preise an beiden letzten Märkten stark gesunken sind infolge Überangebot aus Pommern u. Mecklenburg, muß ich die Sache bis nächsten Monat verschieben … Uns hier geht es auch gut. Ernst hat viel Arbeit. Man hat sowas gehört, daß die Stadt Berlin ihre schlechten Güter abstoßen will. Auf alle Fälle muß man sich langsam auf sowas einstellen…*

 

Das erhoffte Geschäft wurde nicht von Erfolg gekrönt und er schrieb seiner Familie am 14. November 1931: … Ich bin schon wieder eine Woche hier in Werben. Hab einen Waggon Hammel von unten raufgeschickt, treiben kam nie in Frage. Es hat nichts rausgeguckt bei dem Geschäft, Preise sind weiter sehr gefallen. … Das Gut wird nun doch in nicht allzu ferner Zeit verkauft. Auf 1. März bez. April hat Ernst gekündigt…

 

Abschied von Werben

 

In den folgenden Monaten gingen die Jahre in Werben zu Ende. Während Hans Fähnle vorübergehend in Hofheim ein Atelier fand, verbrachte die übrige Familie Weihnachten auf dem Gut bei seinem Bruder Ernst:

Hofheim 22. Dez. 31. … hab jetzt im alten Schulhaus hier einen Raum gemietet u. bin gerade dabei mich einzurichten. Aber ich freu mich nun wirklich mit Euch darüber, daß Ihr nun zusammen in Werben Weihnachten feiern könnt. Ich werde manchmal an Euch denken u. wünsche Euch herzlich frohe Tage miteinander. … Am heiligen Abend werd ich hier im Haus Bekker sein. Nachher werd ich mich dann in mein Schulhaus zurückziehen u. arbeiten …

 

Mit dem Ruhestand des Vaters Paul Fähnle begann 1932 für die Familie ein völlig neuer Lebensabschnitt. Die beiden erwachsenen Söhne halfen ab Mitte des Jahres beim Bau des Altersruhesitzes in Überlingen am Bodensee mit. Das neue Haus wurde zum Refugium und regelmäßigen Treffpunkt für alle. Nach Hans Fähnles Tod 1968 errichtete sein Bruder Ernst bereits 1969 auf diesem Grundstück das Ausstellungshaus Galerie Fähnle * - Eröffnung 1970.


* Galerie Fähnle in Überlingen am Bodensee: www.galerie-fähnle-freunde.de

 

Hans Fähnles malerischer Gewinn in Werben

 

Die Nachbarschaft von Berlin und Werben gewährte Hans Fähnle sogar mitten in der Wirtschaftskrise noch Vorteile. Der Lebensunterhalt bei seinem Bruder auf dem Gut war günstig und in der nahen Großstadt konnte er am kulturellen Leben teilhaben und Kontakte pflegen. Im künstlerischen Nachlass in der Überlinger Galerie Fähnle finden sich viele Skizzen, Zeichnungen und Druckgrafik aber auch Gemälde, die seine intensive Auseinandersetzung mit dem Leben und Wirtschaften auf einem Landgut spiegeln. Mehrere dieser Werke sind aufgrund der Ortsbezeichnung Werben leicht zuzuordnen. In unzähligen Skizzen hat Hans Fähnle die Hoftiere in Ruhe oder Bewegung festgehalten und in Gemälden verarbeitet.

 

Seine expressiven Tierbilder, die Motive in den Ställen und auf dem Hof, ebenso die Landschaften, waren begehrt, fanden ihre privaten Käufer und tauchen heute gelegentlich im Kunsthandel auf, so etwa ein ‚Kuhstall‘ aus Werben 2018 bei einer Auktion in der Schweiz. Eine Bildkäuferin aus Stuttgart sandte Hans Fähnle seinerzeit lobende Zeilen:

15.12.1932. … Ihre schönen Bilder sind zu uns gelangt u. wir haben uns seit einigen Tagen in dieselben eingesehen u. unsere Wahl ist fast einstimmig auf den ‚Kuhstall‘ gefallen. Mir persönlich ist dieses Bild besonders lieb aus verschiedenen Gründen. Die Perspektive gibt ihm eine gewisse Gesetzmäßigkeit u. Geschlossenheit zu der die Lebendigkeit der Tierkörper u. ihren schönen Farben in einem feinen Gegensatz stehen. Ich glaube ich werde dieses Bild sehr lieben …

12.11.1933. … Der ‚Kuhstall‘ war, wie Sie es wünschten [zur Ausstellung] im Kunstverein [Stuttgart]…

 

Auch wenn Hans Fähnle seiner Malerei und dem radikalen Einsatz der Farbe Priorität einräumte, vernachlässigte er sein grafisches Arbeiten keineswegs. Als Meisterschüler von Hans Meid * an der Berliner Kunstakademie 1924/25 konnte er seine Erfahrungen mit grafischen Techniken vertiefen, insbesondere bei Radierungen. Bemerkenswert ist die Verwendung von kleinen Radiertäfelchen, die er, wie sein Lehrmeister, quasi als Skizzenblock einsetzte. Vor dem Motive - in der Landschaft, im Stall - hat er ohne Vorzeichnung mit der Radiernadel in diese kleinen Metall-/Kupfertafeln geritzt und ohne Nachbearbeitung gedruckt. Zahlreiche solcher kleinformatigen Radierungen (ca. 13 x 18 cm) sind in Werben entstanden und überraschen mit ihrer expressiven Frische (Abb. Wagen von zwei Pferden gezogen und Kuhstall mit Kühen).

 

Hans Fähnle skizzierte unentwegt und verschonte dabei kein erreichbares Papier, von empfangenen Briefen und Kuverts, über Architektenzeichnungen, unbedruckte Buchseiten bis zu alten Statistikbögen. In Werben nutzte er etwa die Rückseiten der Durchschläge des Bestellzettel-Blocks für die Haushaltseinkäufe wie einen Skizzenblock, um seine Schwester zu porträtieren (Abb. Bestellzettel Nr. 30 Werben 10. November 1928).


* Hans Meid (1883-1957), Zeichner, Grafiker, Maler, Akademieprofessor in Berlin und Stuttgart: http://hans-meid-stiftung.de/index.php/hans-meid/biografie (abgerufen 14.05.2019)

 

In der Sammlung der Überlinger Galerie Fähnle ist rund ein Drittel der Ölgemälde auch auf der Bildrückseite bemalt. Zum Teil wurden diese Rückseitenmotive von Hans Fähnle verworfen bzw. nicht fertiggestellt. Die Leinwand oder Malplatte wurde dann einfach gewendet, nicht zuletzt aus Sparsamkeit. Ein typisches Beispiel ist das Leinwandgemälde mit dem nichtssagenden Titel Sommerliche Landschaft mit Häusern 1930. Tatsächlich malte er hier jedoch die Lehmgrube Glienick *. Auf der offenbar verworfenen Rückseite hat er eine Gartenansicht des Gutshauses Werben festgehalten. Auch alle anderen hier abgebildeten Gemälde sind beidseitig bemalt!

 

Schwarz-Weiß-Abbildungen können Fähnles radikale Farbigkeit nur bedingt vermitteln. Die rund fünf Jahre einschließlich Unterbrechungen in Werben bieten einen kleinen Ausschnitt des Gesamtwerks. Das 2013 zur Ausstellung in Flein erschienene Katalogbuch ** versucht, alle Werk- und Entwicklungsphasen abzubilden. Dem Frühwerk bis etwa 1935, in dem die Einflüsse der Lehrer nachwirken, folgen die Jahre der Repression und NS-Gleichschaltung. Hans Fähnle verschließt sein Atelier gegen fremde Blicke und lebt von „Brotkunst“, von kunstgewerblichen Aufträgen. Er vertraut künstlerische Fortschritte nur noch seinem Bruder an – 1937 in einem Brief aus Hofheim: … Mit meiner Malerei bin ich nochmal einen Schritt weiter gekommen, aber an eine Ausstellung dieser Sachen ist nicht mehr zu denken, schwer entartet!! …

 

Nach 1945 verarbeitet Hans Fähnle die NS-Zeit sowie seine traumatischen Kriegserfahrungen in einer Vielzahl existenzieller Bilder, die auch die eigene Person nicht schonen, und er experimentiert mit surrealen Motiven. Daneben bleibt er seinen expressiv realistischen Blumenbildern treu. Im letzten Lebensjahrzehnt verdichtet er seine aus Figur, Natur und gelebtem Humanismus gewonnenen Motive zu abstrakten, farbigen Zeichen von berührender Symbolkraft.


* Vgl. Glau, Gerhard: Büdner, Bauern und Kossäten, S. 25-31

* Uli Braun, Volker Caesar, Thomas Knubben (Hrsg.): Hans Fähnle. Maler; Flein 2013

 

 

Kunstmaler und Chauffeur – Hans Fähnle in Werben

 

Den Beitrag im Heimatjahrbuch für den Landkreis Teltow-Fläming 202 finden Sie nachstehend als pdf-Datei: