Hans Fähnle. Der verlorene Sohn. 1956

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Öl-Tempera auf Karton, 113,7 cm X 100,2 cm

Zierrahmen aus weiß gefassten Holzlatten

 

Ausstellungsetikett auf der Rückseite:

„5. Landesausstellung Künstlerbund Baden-Württemberg

Konstanz vom 14. Juni bis 19. Oktober 1958“;

eigenhändig von Hans Fähnle beschriftet:

Wohnort: Stuttgart, Ameisenbergstr. 61

Titel des Werks: - Der verlorene Sohn -

Auf dieser Ausstellung zeigt Fähnle auch das Bild

 „Baum der Erkenntnis“, Überlingen, Inv.Nr. 140.

 

Quelle und Foto:

Datenbank Galerie Fähnle

Julia Langenbacher

Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

 

 

 

Gegen den Trend der Zeit

 

Die Nachkriegszeit und insbesondere die fünfziger Jahre waren in der Bundesrepublik bestimmt von der abstrakten Kunst. Der abstrakte Expressionismus und das Informell schwappten aus den USA und Frankreich auf die Bundesrepublik über und faszinierten vor allem die jungen Künstler. Realistische Kunst, von den Nationalsozialisten propagandistisch missbraucht, war negativ besetzt. Die abstrakte Formensprache entsprach dagegen dem Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit.

 

Auch an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart dominierte die ungegenständliche Kunst. Willi Baumeister, 1946 als Professor berufen, prägte mit seinen verdichteten Abstraktionen die Zeit. Aber auch Künstler wie Max Ackermann oder Julius Bissier bestimmten mit ihren abstrakten Formbildern das allgemeine Stilempfinden. Hans Fähnle war zu dieser Zeit Gründungsmitglied und Lehrer der Freien Kunstschule Stuttgart, die einen gegenständlich-figurativen Kunstansatz vermittelte. Mitte der fünfziger Jahre machten sich surreale und phantastische Züge in seinem Werk bemerkbar. Seine Formreduzierung schritt weiter voran und die Farbe nahm an Ausdruckskraft ab.

 

Seit Jahrhunderten beliebtes Motiv

 

Die biblische Parabel des „Verlorenen Sohnes“ (Lukas 15, 11-32) ist ein häufiges Motiv in der Kunstgeschichte. In ihr erzählt Jesus die Geschichte eines jüngeren Sohnes, der, nachdem er sein Erbteil in Saus und Braus durchgebracht hat, in tiefste Armut versinkt. Er muss sich als Schweinehirt verdingen und selbst den Tieren das Futter neiden, bevor er schließlich reumütig ins Haus des Vaters zurückfindet. Der Vater nimmt ihn mit offenen Armen wieder auf, schenkt ihm sogleich einen Ring und eine Jacke und veranstaltet ein Fest. Nur der älteste Sohn ist mit dieser Behandlung nicht einverstanden und erhebt Widerspruch. Doch der Vater weist diesen zurück mit den Worten: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

 

Große Maler wie Hieronymus Bosch, Albrecht Dürer, Peter Paul Rubens oder Rembrandt van Rijn nahmen sich des Themas an. Häufig wird aber nicht die Rückkehr des Sohnes dargestellt, sondern sein Abfall vom Glauben und sein ausschweifendes Leben. Bosch stellt ihn als Schweinehirten dar, Rembrandt zeigt ihn als Betrunkenen mit einer Prostituierten im Arm.

 

 

Rembrand nimmt sich des Themas jedoch noch ein zweites Mal an und malt die Heimkehr des Sohnes. Dieses wunderbare Gemälde von 1663-65 offenbart durch das Hell-Dunkel und das wie mattes Gold funkelnde Licht in spiritueller Weise die Präsenz und Liebe Gottes.

 

Hans Fähnle hat seit Mitte der fünfziger Jahre das Thema mehrfach bearbeitet. Im Nachlass der Stadt Überlingen taucht es insgesamt vier Mal auf. Das hier vorgestellte Bild aus dem Jahre 1956 ist in dieser Themengruppe das Gegenständlichste. Die drei späteren Bilder von 1966/67 sind in der Form noch reduzierter. Sie zeigen keine Gesichtszüge mehr. Kopfformen und  Körper sind so vereinfacht, dass man nur noch verschiedene Rechteckformen ausmachen kann, die eine Umarmung andeuten. In diesen späten Bildern benutzt Hans Fähnle Pastelltöne und zitiert die Person des Bruders als braune oder schwarze Figur im Hintergrund.

 

Ergreifendes Thema gewinnt künstlerische Gestalt

 

Hans Fähnle konzentriert sich im Bild von 1956 ganz auf die Umarmung von Vater und Sohn, also auf den Augenblick der  Heimkehr. Vor- und Nachgeschichte der Parabel kommen nicht zum Tragen. Auch der Bruder taucht in diesem Bild nicht auf. Es gibt kein schmückendes Beiwerk oder andere erzählerische Elemente.

 

Die beiden Figuren sind einander zugewandt, von beiden ist das Profil zu sehen. Die Köpfe sind auf breite Kegel reduziert, die Hälse gestreckt und auf die dreifache Länge vergrößert. Die Arme des Vaters sind um den Körper des Sohnes gelegt, die Hände viel zu klein dargestellt und sein großes, schwarzes Auge ist auf ihn gerichtet. Der Sohn legt seinen Kopf leicht nach hinten und gibt sich der liebevollen Umarmung des Vaters hin. Seine Augen sind geschlossen. Nasen, Münder und Haare der beiden werden nur durch wenige Striche oder Ritzungen angedeutet. Die Modellierung der Gesichter oder Körper bleibt flach.

 

Der Hintergrund ist dunkel gehalten, so dass die beiden Figuren plastisch im Licht stehen. Sie sind in weißen und bläulich-grauen Tönen, die mit braunen und schwarzen schmalen Strichen versetzt sind, gemalt. Schwarze Konturlinien grenzen die Flächen voneinander ab.

 

Alles ist auf den Moment der Umarmung konzentriert. Indem Hans Fähnle alle Details weglässt, den beiden kaum weitere, das Aussehen bestimmende Charakteristika gibt, versenkt sich der Betrachter in diesen ergreifenden Augenblick des Wiedererkennens, des Verzeihens und der Liebe. Die Hässlichkeit und Deformation der Körper verstärkt die Innigkeit und Emotion. Dadurch wird die Schönheit der Szene sublimiert und die bedingungslose Vaterliebe noch stärker hervorgehoben.

 

Insbesondere in Zeiten von Kriege, Gewalt und Grausamkeit sind die Suche nach der Liebe zu Gott und die Fragen nach Vergebung besonders groß. Viele religiöse Bilder entstehen in diesem Kontext. Auch Hans Fähnle sucht nach entsprechenden Antworten auf Erlebnisse während seines Fronteinsatzes in den vierziger Jahren. Die Parabel über den Sohn, der erst vom Glauben abfällt, dann aber zu Gott zurückkehrt und mit offenen Armen empfangen wird, muss für Hans Fähnle damals Trost und Hoffnungsschimmer gewesen sein. Auch das Bild der Söhne, seiner Generation, die in den Krieg gezogen waren und nun aus Gefangenschaft zurückkehren, dürfte ihn geleitet haben.

 

In Fähnles Werk ist dies ein besonders ergreifendes Bild. Durch wenige, stark reduzierte Mittel gelingt es ihm, die  Essenz der Parabel zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere die Gegensätzlichkeit von Form und Inhalt, von äußerer Hässlichkeit und innerer Schönheit verleiht dem Bild die besondere Würde und Eindringlichkeit, die es aus vergleichbaren Darstellungen seiner Künstlergeneration weit heraushebt.

 

Dr. Ulrike Niederhofer, Überlingen