Werner Kromer: Fähnle-Zeitzeuge und beständiger Gast in der Galerie Fähnle
Werner Kromer
20. Februar 1921 - 16. Juli 2024
Im Oktober 2022 war es uns noch einmal vergönnt, den damals schon 101-jährigen, lebensfrohen Werner Kromer im Hause seiner Tochter Gabriele Kromer-Schaal zu erleben. An diesem sonnigen Nachmittag saßen wir nach Kaffee und Kuchen noch lange beisammen und konnten seinen vielen Rückblenden zuhören. Wie gerne hätte er noch einmal einen Besuch in der Galerie Fähnle gemacht! Doch die ‚Bergtour‘ mit den vielen Treppen hinauf zum weißen Kubus waren ihm zu beschwerlich geworden.
Mit ungebrochener Begeisterung und Empathie kam er immer wieder auf seinen gleichaltrigen Schulfreund Gotthold, den jüngeren Bruder Hans Fähnles, ihre gemeinsamen Lebenspläne, ihren parallelen Start in Ausbildung und Studium und den abrupt frühen Kriegstod seines Freundes zu sprechen.
Schon bald nach der Gründung des ‚Fördervereins Galerie Fähnle e.V.‘ im Februar 2012 suchte Werner Kromer den Kontakt zum Verein. Er wurde Mitglied und regelmäßiger Gast der Veranstaltungen und Ausstellungen in der Goldbacher Straße. Unvergessen bleibt die ‚Finissage mit Zeitzeugen‘ im Oktober 2012. Es war ein Tag anrührender Rückblicke auf persönliche Begegnungen mit Hans Fähnle und seiner Familie, mit seiner Kunst und mit zahlreichen ‚Zeitgenossen‘, darunter besonders zu nennen die Überlinger Malerin Barbara Michel-Jägerhuber (1922-2017), der Kameramann Peter Forster, (1918-2017), zeitweiliger Nachbar in der Überlinger Villa Lattner und Werner Kromer, der ab 1933 mit seiner Familie ebenfalls in der Villa Lattner wohnte. Als Zeitzeugen gehören sie der Generation von Gotthold Fähnle (1920-1941) an.
Zu Hause war und ist Familie Kromer von Hans Fähnles Bildern umgeben, Werner Kromer wächst mit ihnen in der Goldbacher Straße auf. Die eigenen Bilder werden geliebt, gehütet und gelegentlich vermehrt. Die Sammlung von Fähnle-Bildern nahm ihren Anfang 1938, als Werner Kromers Vater Hermann das erste Bild von Hans Fähnle geschenkt bekam: ‚Villa Lattner über der Goldbacher Felswand‘ - siehe Foto. Nicht ganz zufällig, denn die zwei Familien waren Nachbarn geworden. Die Fähnles bezog 1932 ihr neues Haus oberhalb der Goldbacher Straße und die Kromers fanden 1933 ihre Wohnung wenige Schritte entfernt in der Villa Lattner. Oft genug kam der junge Maler Hans aus Stuttgart ins Überlinger Elternhaus und suchte seine Motive in unmittelbarer Umgebung, am Aussichtspunkt bei der Felswand, rund um Goldbach oder am Seeufer.
Der gemeinsame Schulweg von Werner und Gotthold, das fast tägliche Zusammentreffen in der Goldbacher Straße und in den Elternhäusern, die Jahre in der Seuse Oberrealschule bis zum Abitur 1939 haben die Freundschaft der Jungen vertieft. Bei Kriegsbeginn waren sie gerade 18 bzw. 19 Jahre alt und ihre weitgehend unbeschwerte Jugend war zu Ende. Beide wurden zum „Ehrendienst am deutschen Volke“, zum Reichsarbeitsdienst, verpflichtet. 1941 folgt ihre Einberufung zum Kriegsdienst, Werner kam an die Front nach Nordafrika, schon im Sommer 1941 kam Gotthold beim deutschen Überfall auf die Sowjetunion auf der Krim ums Leben.
Die bis ins höchste Alter zu spürende Erschütterung über das gemeinsame Erleben hat auch uns tief beeindruckt, genauso wie die auf Hans Fähnle übertragene Zuneigung und Sympathie für dessen Kunst und die persönliche Förderung durch Erwerb seiner Bilder in den 1950er und 1960er Jahren. Im weit gespannten ‚Fähnle-Netzwerk‘ bleibt Werner Kromer eine zentrale Figur, an die wir uns mit Wehmut erinnern, insbesondere an sein zugewandtes und empathisches Wesen.
Volker Caesar, im August 2024
Es folgt ein Brief aus Hans Fähnles hinterlassener Korrespondenz, in dem er seinem „kleinen“, plötzlich erwachsen gewordenen Bruder Anerkennung und Mut zusprach. Sinngemäß könnte so auch Gottholds Freund Werner angesprochen sein.
Zugleich berichtet Hans Fähnle von seiner zunehmenden Verunsicherung und persönlichen Betroffenheit. Damals entwickelte sich ein reger Austausch zwischen Hans Fähnle und seinem siebzehn Jahre jüngeren Bruder Gotthold.
Hier der Brief vom 13. März 1939:
Stuttgt. 13.3.39.
Mein lieber Gotthold!
Deine Karte mit der Nachricht, daß Du das Abitur gut hinter Dich gebracht u. sogar eine Medaille gekriegt hast, hat mich sehr gefreut. Trotz Grippe, die Euch scheints in Überlingen auch nicht verschont hat. Hoffentlich seid Ihr alle wieder ganz auf dem Damm!
...
Als „Medaille“ meinerseits leg ich Dir den kleinsten Schein der Reichsbank bei, als kleine Mitgift sozusagen für den Arbeitsdienst.
Bei mir selbst wird die Situation leider langsam immer kritischer. Bin dabei, mich nach einem neuen Beruf umzusehen, eh die sog. Umschulung vollends akut wird. Trotzdem wird man natürlich vor Überraschungen nicht sicher sein.
Das hätt‘ ich früher auch nicht geglaubt, daß einem einmal von der Seite die künstlerischen Dinge unmöglich gemacht werden. Mehr kann ich darüber nicht schreiben.
Ich gehöre eben noch zu den unglückseligen Jahrgängen, bei denen noch andere als politische Tendenzen im Mittelpunkt ihrer Existenz standen, aber Kummer gewöhnt ist man, auf mehr gefasst als die meisten u. nicht mehr leicht zu zerbrechen.
Du wirst Dich in vielem da leichter tun, wünsch es Dir wenigstens von Herzen!
Das zu erfüllen, was da in absehbarer Zeit von Dir verlangt wird, wird Dir sicher keine allzu großen Schwierigkeiten machen, das Denken verbietet einem ja niemand u. vom vielen Reden bist Du ja Gott sei Dank nie ein großer Freund gewesen.
Hoffentlich wird das Wetter noch ein bischen besser jetzt im März, daß Du noch ein bischen was hast von Deinen letzten Ferien!!
...
Grüß Vater u. Mutter herzlich von mir u. nimm selbst inzwischen meinen herzlichen Gruß u. meine guten Wünsche!
Dein Hans.
Fatale Gewissheit: Der jugendliche Aufbruch endete in der Katastrophe.
Am 9. September 1941 schrieb Ernst Fähnle an seine Bruder Hans:
Altenpleen [bei Stralsund], 9.9.41
Mein lieber Hans!
Dank Dir für Deinen lieben Brief. Ja nun wissen wir also Bescheid und Deine Ahnungen mit dem lieben Gotthold sind nur zu schnell eingetroffen. Man ist ganz stumm und stumpf vor Schmerz, und muß die kreisenden Gedanken im Zaume halten, damit man durch die aufsteigende Bitterkeit nicht das Bild des Lieben trübt. Herrgott muß das alles sein? Auch für die Eltern? Vielleicht sieht man auch das noch ein. Arzt hat er werden wollen. Und geglaubt hat er an das Leben und die Menschheit.
Da werden wir wohl noch die Aufgabe bekommen haben, diesen Glauben nicht betrügen zu lassen.
Hoffentlich hast Du etwas Urlaub bekommen, um die Eltern zu besuchen. Für sie ist es zu schwer.
Ich hoffe auch noch diesen Monat zu ihnen zu kommen. Wenn nicht mit, so ohne Urlaub.
Inzwischen Gruß u. Händedruck
von Deinem tr. [treuen]